Ein fester Termin im Reisekalender ist die Fjordrally - diesmal freue ich mich auf den Winterspaß mit der endlich fertig umgebauten KTM. Doch vor dem Vergnügen steht erstmal die Vorbereitung und die geriet dieses Jahr extrem stressig. Die Kisten vom Umzug sind noch nicht ganz ausgepackt, seit Wochen kochen wir unser Abendessen auf dem Benzinkocher da für die Küche immer noch die perfekte Lösung fehlt und mittendrin soll ich in Ruhe meine Sachen für Norwegen packen. Es wird eng, denn die Maschine geht vollbepackt schon eine Woche früher auf reisen - sie darf in Hamburg auf der Messe stehen, was mir satt 800km Anreise auf eigener Achse spart. Am Abend vor der Fahrt packe ich die Taschen und Koffer und wie zum Hohn holt mich nur eine Nacht vor der Fahrt nach Hamburg eine heftige Magen-Darm Grippe ein. Trotzdem habe ich mit dem Touratech Nord Team viel Spaß auf der Messe in Hamburg und weiß meine KTM dort oben in guten Händen. Zäh vergehen die letzten Tage im Büro bis mich Corinna endlich am Freitag Morgen um 6:00 nach Villingen zum Bahnhof bringt. Es tut weh, sie alleine am Bahnsteig zurück zu lassen, aber ich kann ihre Abneigung gegen das Fahren in der Kälte gut verstehen. Der Tag ist perfekt geplant: Ankunft in Hamburg um 13:30 Jörg von TT Nord wird mich am Bahnhof abholen. Bei TT Nord werde ich mich umziehen, die Maschine fertig machen und nach Kiel düsen. Dort habe ich einen Termin beim Reifenhändler, der meine Spikesreifen (die in einer Expressaktion von Wolfgang Butzner noch geschraubt wurden) aufziehen wird, dann steht ein gemütlicher Abend bei Popi, Tanni und Tom an. Plötzlich bleibt der ICE mitten in einem Tunnel stehen. Wir hätten Probleme mit dem Triebwagen und man versuche nun, dieses Problem zu lösen. Eine Stunde später steht dann fest, das dieses Problem nicht zu lösen ist und wir in einen anderen ICE evakuiert werden müssen. Nach insgesamt gut 2 Stunden warten im Tunnel wechseln wir dann alle über kleine Leitern von einem ICE in den Nächsten. Zum Glück bekomme ich einen Sitzplatz. Mit fast 3 Stunden Verspätung erreiche ich Hamburg und werde von Jörg auch gleich in Empfang genommen. Hektisch trinke ich Kaffee, werfe mich in die Motorradklamotten und packe die Maschine. Es ist schon stock dunkel in Hamburg, als ich mich mit vollen Tanks auf den Weg nach Kiel mache. Den Termin beim Reifenhändler habe ich nach Morgen verschoben. Leicht genervt aber doch voller Vorfreude erreiche ich das Haus von Popi und Tanni, wo auch Tom schon auf mich wartet. Noch einem großen Hallo und einem super leckeren Essen lassen wir den Abend voller Vorfreude auf das neue Abenteuer ausklingen und schauen uns den Film der letzten Fjordrally gemeinsam an.
Was so chaotisch losgeht, kann ja nur entspannt weitergehen! Morgens bekomme ich die Spikes auf die Felgen gezogen und eiere sehr unsicher mit den nagelneuen Spikes über die Straße nach Kiel an den Norwegen Kai. Wie immer stehen schon einige Gespannfahrer an der Schranke, die es scheinbar nie so richtig verputzen können, dass es „noch härtere Jungs“ gibt als sie ;-) Trotzdem unterhalten wir uns fröhlich, schließlich eint uns die gemeinsame Leidenschaft, Skandinavien im Winter zu bereisen. Das Wetter wechselt im Sekundentakt, aber wir bleiben trocken bis wir endlich auf das Parkdeck dürfen. Mit Routine verspannen wir unsere Maschine, schleppen das nötigste Gepäck in unsere Kabinen und stehen mit dem ersten Bier in der Hand auf Deck, noch bevor das Schiff ausläuft. Kiel verabschiedet sich mit Sonnenschein, aber schon auf der Höhe von Laboe tobt ein heftiger Schneesturm - hoffentlich reicht der bis Norwegen...
Ein Blick auf die Bugkamera der Fähre lässt am nächsten Morgen mein Herz höher schlagen: Schnee und zwar viel davon. Schon beim Frühstück ist unsere Anspannung greifbar. Wir wollen los! Schnell sind wir angezogen und schleppen unser Gepäck wieder auf das Parkdeck, packen die Maschinen und sind startklar. Vorsichtig verlassen wir die Fähre - Spikes auf nassem Stahlboden ist keine gute Mischung und endlich greifen unsere Stollen und Spikes auf Schnee! Der Zöllner lacht nur und schüttelt mit dem Kopf als wir an ihm vorbeifahren und schon stecken wir mitten im Schneesturm auf der Ausfallstraße gen Norden. Puh, jetzt ist erstmal eine ganz sachte Gashand gefragt. Sehr vorsichtig mache ich mich wieder mit dem Untergrund und den Reifen vertraut - da kann man das Jahr über noch so viel On & Offroad fahren, das hier ist mit nichts zu vergleichen. Unsicher kämpfe ich mich über das Stück Autobahn und traue mich kaum, die Hand vom Lenker zu nehmen um das Visier vom Schnee zu befreien. Wir verlassen die Autobahn und fahren auf der komplett vereisten Straße weiter in Richtung Gol. Tom und Popi sind schon lange am Horizont verschwunden, sie haben ein paar Jahre mehr Erfahrung mit dem Winterfahren. Aber auch ich werde schneller und noch ein paar Kilometern fährt es sich schon fast wieder wie von selbst. Nach einer entspannten, gemeinsamen Mittagsrast haben die beiden in Gol schon eine große Hütte für uns gebucht, als ich dort eintreffe. Wir parken im hohen Schnee und lassen bei einer Variation von Tütensuppen den ersten Tag revue passieren.
„Da bewegt sich ein Zweig!“ Popi glänzt beim Frühstück durch einen Adlerblick. Tatsächlich steht kaum 20 Meter von uns entfernt eine Elchkuh im Wald und knabbert an einem Tannenbaum. Sie beobachtet uns, läßt sich aber nicht stören. Als sie irgendwann im Wald verschwindet sehe ich, dass sie ein Junges dabei hat. Das hätte gefährlich werden können, denn Elchkühe mit Nachwuchs sind extrem aggressiv. Später stellen wir an den Spuren fest, dass die beiden auf dem ganzen Campingplatz unterwegs waren und keine 10 Meter von unseren Maschinen entfernt auch einen dicken Haufen in den Schnee gesetzt haben... Popi und Tom sind happy: Sie haben die letzten 10 Jahre keinen Elch mehr in Skandinavien gesehen. Ein Tag der so genial anfängt kann eigentlich.... Bei unter -10 Grad hat über Nacht die Batterie von meiner KTM den Geist aufgegeben. Eigene Blödheit von mir, denn ich hatte auf der Messe in Hamburg noch eine neue Batterie bekommen, war aber zu faul sie einzubauen. Selbst Fremdstartversuche mit Hilfe des Autos der Campingplatzbesitzer (Die extra noch ein Startkabel für mich kaufen gehen) bleiben erfolglos. Wir dürfen die Maschine in die warme Küche schieben, aber anspringen will sie davon auch nicht. Ich schicke Popi und Tom weiter und rufe den ADAC an. Eine Weile später bekomme ich dann den Rückruf vom ADAC Partner in Gol, der kurz darauf auch erscheint. Ich erzähle die ganze Geschichte und er grinst nur: „Der Campingplatzbesitzer soll Hütten vermieten und ich mache Motorräder wieder flott...“ Sagt es, klemmt die Überbrückungskabel an und startet die Maschine. Ich fasse es nicht, packe, schicke Tom und Popi eine SMS und mache mich auf den Weg. Gut 180km liegen vor mir und es ist schon nach 13:00. Wenn ich vor der Dunkelheit in Haslo ankommen möchte, muss ich Gas geben. Auf dem Hemsedalfjell ist praktisch kein Verkehr, die Fahrbahn ist dick vereist und es weht ein eissiger, scharfer Wind, der den Schnee über die Fahrbahn treibt und somit jedes Erahnen von Unebenheiten, Rillen und Schlaglöchern zu nichte macht. Egal, ich stehe in den Rasten, blicke weit nach vorne und gebe der KTM die Sporen. Genau dafür ist sie ja auch gebaut worden und das merkt man deutlich. Mit gut 100km/h (GPS) fliege ich über das Fjell, bis mich eine Schneefräse bremst, die nicht zu überholen ist. Unten im Tal ist die Straße Schnee- und Eisfrei, dafür mit vielen Rissen überzogen. Diese Risse scheinen die Spikes zu lieben, den jedesmal wenn ich einen Riss treffe kippt die Maschine heftig nach links oder rechts. Aber auch hier hilft aufstehen und Tempo (Nur der Kopf macht da nicht immer mit...) An der Fjordfähre habe ich mächtig Glück: Ich habe den Seitenständer noch nicht unten legt sie auch schon ab. Es bleibt mir gerade Zeit für einen HotDog (mein erstes Essen heute) und schon geht es weiter nach Haslo. Gerade als Popi und Tom vom Einkaufen komme, erreiche ich die Hütte. Sie waren auf dem Fjell noch schneller unterwegs als ich, haben aber ein paar Abstecher für Foto und Filmaufnahmen gemacht. Wir essen lecker und blicken der Sonne nach, die hinter den nahen Bergen untergeht.
Ohne Gepäck geht es heute zum „Spielen“ .Schon direkt vor der Hütte ist es spiegelglatt und so startet der Tag mit einem noch etwas unbeholfenen Drift. Wir folgen einer kleinen Straße, die sich an der Küstenlinie eines kleinen Fjordarms entlang windet. Links geht es steil bergab zum Ufer, rechts geht es steil, fast senkrecht nach oben. Nur eine ca. 1,5 Meter hohe Schneewand links und rechts schützt uns bzw. gibt uns ein wenig psychologische Sicherheit beim Fahren. Popi und Tom sind längst am Horizont verschwunden, aber auch ich werde mit jedem Meter sicherer auf der vereisten Straße. Die Straße ist eine Sackgasse, also rechnen (hoffen) wir nicht mit Gegenverkehr. Dem entsprechend sind wir alle auf der Ideallinie unterwegs, d.h. wir nutzen die enge Straße vor allem in Kurven (die natürlich immer sehr unübersichtlich sind) voll aus. Immer mutiger und sicherer werde ich was das Driften durch die Kurven angeht und als es mir gerade einmal wieder sehr gut gelingt, passiert, was passieren muss: Mir kommt mitten in der Kurve ein LKW entgegen! Auch er nicht langsam und auf der Ideallinie. Zum Glück verfügt die KTM über die entsprechenden Handlings- und Fahrwerksreserven und ich bin dank der schnellen Fahrt hell wach. Der LKW staubt mich mächtig ein, aber wir berühren uns nicht. Bei einem Filmstop stellt sich dann heraus, das Popi und Tom den LKW in einer ganz ähnlichen Situation auch mitten in einer Kurve getroffen haben. Wir genießen die Fahrt entlang des Fjords durch eine einfach wunderschöne Winterlandschaft. Erst später erfahren wir, dass die Straße erst heute nach einem Lawinenabgang wieder geöffnet wurde. Den Nachmittag nutze ich, um nachzuholen was ich eigentlich schon vor der Abreise hätte machen sollen: Die neue Batterie einbauen! Das Wetter am Abend lässt wenig Freude bei uns aufkommen - es regnet und ist spürbar wärmer geworden. Schon verlieren die Bäume neben der Hütte ihren Schneebelag und auf dem Weg sammelt sich Regen- und Tauwasser in großen Pfützen auf dem Eis.
Während wir die Motorräder beladen wird der Regen zum Schnee. Hoffnung keimt auf und wir machen uns auf den Weg zum Jostedal Hotel, wo auch dieses Jahr wieder die Fjordrally stattfinden wird. Ständig wechselt Regen mit Schnee und die Straße am Fjord entlang ist streckenweise in einem katastrophalen Zustand. Der Regen macht die Eisschicht auf der Straße brüchig, schwere LKWs lösen dann Platten aus dem Eis. Da die Eisschicht auf der Straße bis zu 5cm dick ist, entstehen so Rillen und Löcher die absolute Konzentration fordern. Langsamfahren hilft nicht, denn dann ist das beladene Motorrad deutlich instabiler als bei höherem Tempo. Das ist aber leichter gesagt als getan, denn erst muss der Kopf überzeugt werden, dass eine tiefe Rille mit 70km/h viel ungefährlicher ist als mit 30km/h. Nach dem Abzweig in das Jostedal schleicht ein Auto vor mir her und ich habe keine Chance zu überholen. Ständig pendelt oder kippt die Maschine weg, die volle Beladung macht es bei niedrigem Tempo nicht leichter und die Füße sollten tunlichst auf den Rasten bleiben. Dann wird der Regen zum heftigen Schneefall und die Straße ist wieder wie gewünscht: Dicke Eisdecke mit schnell höher werdender Neuschneeauflage. Genial! Ich stehe in den Rasten, die Maschine pendelt zwischen den Beinen und das Gas ist auf. Dumm ist nur, dass der heftige Schneefall im Sekundentakt das Visier komplett zuschneit und wischen angesagt ist. Aber wie soll man bitte bei fast 90km/h im Stehen ständig die Hand vom Lenker nehmen um das Visier zu wischen? Letztendlich muss ich das Tempo drosseln und mich setzen... Man liegt hier Schnee. Die Wände links und rechts der Straße werden immer höher und die Sicht immer schlechter. Man fährt in ein weißes Loch, nur die dunklen Markierungsstangen die links und rechts aus dem Schnee ragen deuten noch an, das man sich auf der Straße befindet. Sicht nach vorne praktisch Null, Untergrund lesen oder erahnen? Fehlanzeige. Blindflug ist angesagt. Sobald man langsamer als 40km/h fährt wird die Maschine auf dem Neuschnee instabil und beginnt heftig zu schlingern. Also, Blindflug und Gas, was erstaunlicherweise auch wunderbar funktioniert. Erschöpft erreiche ich unser Hotel in Jostedal und sehe aus wie ein Schneemann. Nun erstmal abpacken, umziehen, die tropfenden Klamotten in‘s Badezimmer hängen und Mittagessen. Den ganzen Nachmittag sehen wir zu, wie der Schneehaufen auf unseren Maschinen immer höher wird. Leila, die Inhaberin des Hotels erzählt uns, dass sie seit den 90er Jahren nicht mehr so viel Schnee hier oben hatten. Wir sind eben doch verrückte Glückskinder.
Heute werden die restlichen Teilnehmer der Fjordrally hier erwartet. Sie alle sind seit 3-4 Tagen hierher unterwegs. Die Anreise auf eigener Achse soll ein bisschen die Spreu vom Weizen trennen, denn schließlich ist die Fjordrally „das härteste Motorradtreffen der Welt“ und Solomotorradfahren im Winter keine Tupperparty. Nach einem ausgiebigen Frühstück starten wir zur Erkundung, schließlich wollen wir wissen wie die Straßenverhältnisse weiter oben im Tal sind und wie weit die Straße zum Gletscher in diesem Jahr befahrbar ist. Es hat aufgehört zu schneien und die Straße ist in traumhaften Zustand. Wir lassen es laufen und erreichen mit einem breiten Grinsen im Gesicht das Ende der Galaxis äh Straße. Wie im letzten Jahr endet sie nicht weit hinter einem Tunnel vor einem großen Schneehaufen. Das letzte Stück Straße ist einfach ein Traum: Dicke Eiszapfen an der einen Seite, hohe Felswände auf der anderen, die Schneewände am Straßenrand sind höher als wir auf unseren Maschinen, null Verkehr und der Untergrund schön griffig. Tom und Popi fahren zurück zum Hotel, schließlich müssen sie für die Ankunft der Teilnehmer noch einiges Vorbereiten und wollen als Begrüßungskommando bereit stehen, wenn die Ersten eintreffen. Ich habe auf dem GPS noch ein paar kleine Zufahrtsstrassen zu höher gelegenen Höfen gefunden, die ich unbedingt noch erkunden muss. In den letzten Tagen habe ich doch langsam und stetig Fortschritte gemacht und so werden die Fahrten hinauf zu den Höfen zum absoluten Vergnügen. Fast keine Kurve geht mehr ohne Drift, beim Gasgeben auf den wenigen Geraden schlingert die Maschine wild zwischen den Beinen - Rallyefeeling pur kommt auf. Nur schwer kann ich mich aufraffen zum Hotel zurück zu fahren, aber zum einen liegt auf dem Weg zurück ein kleines Hochgeschwindigkeitsstück und zum anderen möchte ich auch auf der Terrasse stehen, wenn der Rest der Band eintrudelt.
Wir trinken Kaffee und versuchen einen Tisch dafür zu finden, der uns die Sicht auf die Einfahrt garantiert - was gar nicht so einfach ist wegen der hohen Schneewand vor der Türe. Dann wechseln wir in das Zimmer von Tom und Popi, dort haben wir einen guten Blick auf den letzten Kilometer der Anfahrt und in den Hof des Hotels. Das Fenster lassen wir etwas offen, bei jedem Motorengeräusch schrecken wir auf. Der Nachmittag zieht sich, es beginnt zu dämmern. Kein Teilnehmer in Sicht. Unsere Vodka- und Biervorräte verschwinden wie auch das Sonnenlicht immer weniger wird. Es beginnt zu schneien. Wir beginnen uns ernsthaft Sorgen zu machen. Wir warten auf 9 Teilnehmer, wo stecken sie? Eine SMS um 18:30 steigert unsere Sorgen noch: Ein Teilnehmer hat am 2. Tag der Anreise nach vielen Stürzen aufgegeben und einige Teilnehmer sind erst sehr spät heute Morgen nicht weit von Oslo entfernt gestartet. Bei dem Wetter und den Straßenbedingungen sind 300km ein echter Höllenritt. Popi und ich laufen zur Tankstelle, besorgen uns einen Besen und legen das Hotelschild aus einer 2m Schneewand frei. Es wird doch keiner vorbei gefahren sein? Kurz nach 19:00 Motorengeräusche! Maddin, Rüdiger und Markus treffen vor dem Hotel ein. Die Freude ist rießig, alle drei sind unversehrt. Das muss mit einem Bierchen gefeiert werden. Das zweite Begrüßungsbier ist noch nicht ganz leer als uns ein Anruf erreicht: Andrea steht etwa 16km vor dem Hotel im Schneesturm und bekommt ihre Maschine nicht mehr hoch. Der Rest der Truppe ist etwa 4km hinter ihr und stürzt ständig. Ich kann Rüdiger, der schon in Unterhosen auf dem Weg zur Dusche ist, davon überzeugen sich noch mal in seine Klamotten zu zwängen und dem Rest der Truppe dort draußen Beistand zu leisten - Tom, Popi und ich sind absolut nicht mehr fahrfähig, so gerne wir selbst helfen würden. Eine Stunde später sind alle komplett am Hotel und die Anspannung löst sich langsam. Leila versorgt uns mit leckerem Essen und der Abend ist erfüllt mit einer Menge wilder Geschichten von unterwegs. Nein, die Fjordrally ist wahrlich kein Kaffeekränzchen!
Recht früh bin ich auf den Beinen und kann mir nun in Ruhe die Maschinen der Teilnehmer anschauen. Björn hat es tatsächlich mit einer alten MZ 2-Takter (mit umfangreicher Hilfe durch Shorty) hier hoch geschafft, Ferdinand ist mit einer 1100 GS hier, die unterwegs bei einem Sturz unter die Leitplanke ihren Schnabel eingebüßt hat, der jetzt mit viel GaffaTape hält. Marcus ist mit einer KTM 950 SE hier und hat eine spezielle Lösung für den Windschutz an den Händen gefunden. Andrea wie im letzten Jahr mit ihrer KTM 990 Adventure, Tom auf seiner LC4 SX, Popi mit einem wunderschönen, schlanken Umbau einer R 65 GS, Shorty auf einer neu aufgebauten XR und der Rest also Maddin, Rüdi und Markus sind mit R 100 GSen angereist. Je nach Fahrkönnen haben die Maschinen mehr oder weniger sichtbare Blessuren. Nur 50% der Teilnehmer sind Sturzfrei unterwegs gewesen und darauf darf man auch sehr stolz sein, denn selbstverständlich ist das hier oben nicht.
Langsam trudelt die Mannschaft zum Frühstück ein und nur zäh lässt sich der eine oder andere zu einer kleinen Ausfahrt überreden. Ein Teil bleibt aufgrund von Schlafmangel oder schmerzenden Körperteilen erstmal im Hotel. Wir machen den obligatorischen Ausflug zum Talende, absolvieren den Rundkurs durch eine nahegelegene Ortschaft (Das stelle man sich mal in Deutschland vor: Da fahren ein paar wild gewordene Mopedfahrer mit offenen Endtöpfen im wilden Drift die Ringstraße durchs Dorf... was passiert in Norwegen? Die Einheimischen holen das Letzte aus ihren Allradautos raus und fahren Rennen mit uns) und werden am Hotel schon mit einem 5 Liter Kanister Rosé Wein aus Andreas Koffern erwartet. Später wird dann das Geschehen auf Andreas Zimmer und den Balkon verlagert. Dort stehen einige Dosen mit der Aufschrift: „Hausmacher Leberwurst“und „Hausmacher Blutwurst“ auf dem Geländer. Marcus war so schlau und hat aus Angst vor dem Zoll die alkoholischen Getränke ganz unverfänglich bei seinem Metzger verpacken lassen: Leberwurst = Jägermeister, Blutwurst = Whiskey. Eigentlich sind wir nach dem Essen alle reif für‘s Bett, aber wir werden von Leila zu einem Quiz eingeladen. Das Quiz findet einmal alle 4 Wochen bei Leila im Hotel statt und die Menschen aus der ganzen Region treffen sich hierzu im Hotelsaal. Wir bekommen einen Dolmetscher und sind eines von insgesamt 8 Teams die um die Wette raten. 30 Fragen werden gestellt zum Weltgeschehen, Lokales, Geschichte usw. und die Antworten müssen aufgeschrieben werden. Wir sind müde und etwas lustlos, aber wir halten durch. Um 0:30 werden endlich die Gewinner bekannt gegeben und wir belegen den 3. Platz.
Blauer Himmel, Sonne - Nix wie raus aus dem Bett!
Fast die komplette Gruppe läßt sich vom Wetter überzeugen und es stehen die kleinen Wege zu den einsamen Höfen an. Mal schauen, was das Tauwetter gestern aus den griffigen Straßen gemacht hat. Eis, blankes Eis wartet auf uns! In einer der letzten Kurven mache ich langsam, da ich eine schöne Stelle zum fotografieren suche und das rächt sich sofort. Ich komme keinen Millimeter mehr vom Fleck. Die Maschine keilt nach links und rechts bis zum Lenkanschlag aus, aber nach Vorne geht es nicht mehr. Also heißt es wenden auf der Steilen, völlig glatten Straße. Beim Absteigen sitze ich sofort auf dem Hosenboden und rutsche ohne Halt gute 20 Meter die Straße runter. Bei der Auffahrt wird Maddin sein schon fast sicherer Pokal für den schönsten Sturz genommen: Markus vollführt fahrender Weise eine 180 Grad Drehung mitten auf der Straße und Tom hat den Stunt auch noch auf Film... so schnell kann es gehen. Breit grinsend erreichen wir das Hotel, wo nach dem obligatorischen Lachsessen die Pokale verteilt werden: Shorty bekommt einen für die 3. Teilnahme an der Fjordrally in Folge und seine Selbstlose Hilfe für die Anderen bei der Anreise, Markus den für den besten Stunt und dann endlich bekommt Rüdi seinen offiziellen Pokal nach dem er schon im letzten Jahr so gelechzt hat, für seine Bereitschaft nach der harten Anreise noch mal los zu fahren um den Rest der Truppe einzusammeln.
In drei Gruppen machen wir uns auf die Rückfahrt. Die Straßen sind fast komplett Schneefrei und selbst auf dem Hemsedalfjell wartet keine Herausforderung mehr auf uns. Am späten Nachmittag sind wir alle in Gol und müssen feststellen, dass in der letzten Woche die Hüttenpreise deutlich angezogen haben. Für den nächsten Tag haben wir uns einige Nebenstraßen ausgesucht, in der Hoffnung noch mal auf Eis und Schnee zu treffen. Nachdem wir bei -12 Grad die KTM Superenduro und Rüdis BMW fremdgestartet haben geht es wieder Gruppenweise los. Markus schraubt noch ein paar Baumarktschrauben in die Stollen und schon greifen unsere Spikes wieder auf besten, griffigen Schnee. Die Sonne kommt raus, der Himmel ist makellos blau und ich stehe wieder auf den Rasten. Jeder Drift könnte nun der letzte sein, das muss noch mal ausgiebig genossen werden. Im Tal hängt der Nebel, es ist ungemütlich und kalt, wir entscheiden uns für eine Privatstraße, die mitten durch ein Skigebiet nochmals über den Berg führt. Wir bezahlen unsere Maut und schon geht der Spaß weiter. Das Wetter und die Bedingungen sind ein echter Traum. Im Tal diskutieren wir den weiteren Weg. Hauptstraße oder erneute Nebenstraßen. Wir bleiben auf der Nebenstraße und werden vom Nebel eingeholt. Der Nebel ist sehr dicht und dank der Temperatur unter dem Gefrierpunkt friert die Feuchtigkeit sofort auf dem Visier fest. Auf der Karte ist eine Hütte eingezeichnet, die wir gegen Ende der Dämmerung auch erreichen. Leider hat sie im Winter geschlossen. Weiter geht es im Schneckentempo. Wir sehen nichts und die Straße ist schlecht. Erst am Fjord wird die Sicht wieder besser. Stockdunkel ist es, als wir in der nächsten Ortschaft an einer Tankstelle nach einer Unterkunft fragen. Alles geschlossen oder voll. Also programmiere ich die Koordinaten eines Campingplatzes in Oslo in das GPS und wir stürzen uns für die letzten 50km in die Dunkelheit. Gegen 19:30 erreichen wir völlig erledigt den Campingplatz in Oslo. Maddin zaubert aus Hackfleisch und anderen Zutaten die leckersten Spagetti Bolognese die wir je gegessen haben und statt eines entspannten Abends sorgt Rüdi für Unruhe. Er hat beschlossen die Spikesreifen gegen Normale zu tauschen und das Schauspiel müssen wir uns wohl oder übel ansehen, denn er wechselt die Reifen im Wohnzimmer unserer Hütte.
Auf der Fähre lassen wir es dann zum Abschluss noch mal richtig krachen und manch einer wird die Nacht ohne Schlaf verbringen. Ich gehe recht früh in‘s Bett, denn auf mich warten noch 870km Heimfahrt auf eigener Achse. Von der Fähre geht es zum Reifenhändler, der die Spikes gegen normale Reifen tauscht, dann gibt es bei Popi und Tanni noch ein kleines Frühstück. Gegen 13:00 mache ich mich auf den Weg, die großen Tanks sind randvoll und eigentlich will ich heute noch in Corinnas Armen liegen. Aber gut 400km hinter Kiel kommt der Nebel und er gefriert wieder sofort auf dem Visier. So komme ich nicht voran und beschliesse schweren Herzens noch eine Übernachtung einzulegen. Am nächsten Morgen bleibe ich dann fast 200km hinter einem LKW hängen, da der Nebel noch immer auf dem Visier festfriert. Erst als zwischen Würzburg und Stuttgart die Sonne durchkommt wird es wärmer und ich kann entsprechend schnell die letzten Kilometer unter die Reifen nehmen. An der letzten Tankstelle erstehe ich einen Strauß Rosen für Corinna (schließlich ist heute Valentinstag) und erreiche kurz nach 14:00 die Firma Touratech. Ich bin wohlbehalten und ohne Stürze nach 2.200km wieder zu Hause. Aber eines ist klar, der Termin für das nächste Jahr kommt sofort in den Kalender - Winterreisen macht süchtig!