Recht spontan, nämlich letztendlich innerhalb von 10 Tagen, mache ich mich, auf Wunsch und mit der Unterstützung der Firma Wunderlich, für 4 Wochen (16 Fahrtage) auf, von
Sinzig (in der Eifel) in’s schöne Altai Gebirge in Sibirien. Ein 11.500km langer Härtetest für mich und vor allem für die nagelneue BMW R 1200 GS.
01. August – 11. August 2004
Eine Motorradtour war für dieses Jahr eigentlich schon abgehakt, als der Anruf der Firma Wunderlich kam, ich solle doch bitte mit der neuen 1200GS irgendwo hinfahren –
Anbauteile testen und schöne Fotos machen. Spontan schlage ich einen 14-tägigen Ausflug in das ALTAI Gebirge in Sibirien vor. Das längste Gebirge der Welt erstreckt sich fast über den gesamten
asiatischen Kontinent und hat in Sibirien seinen nördlichen Ursprung. Die höchsten Berge im russischen Teil liegen bei 4.500 m. Da ich dort 2005 Motorradtouren anbieten möchte, kann ich so zwei
Fliegen mit einer Klappe schlagen – Teile unter extremen Bedingungen testen und meine Routen festlegen. Da die Zeit knapp ist, plane ich das Motorrad und mich via Flugzeug nach Sibirien zu
transportieren, dort 14 Tage zu fahren und dann den gleichen Transportweg zurück zu nehmen. Schnell ist jedoch klar, dass ein kurzfristiger Transport des Motorrads mit dem Flugzeug aus diversen
Gründen nicht zu machen ist. Na gut, dann fahre ich die Strecke nach Novosibirsk eben – schließlich ist die 1200 GS eine Reise-Enduro und diesen Teil der Strecke kenne ich ja schon vom letzten
Jahr... Nun muss es aber schnell gehen, der Sommer in Sibirien ist schön aber kurz und Ende August übernimmt der harte Winter schon wieder das Zepter. Es bleiben also 10 Tage für mich, die
Formalitäten zu klären, mein Zeug zu packen und für Wunderlich die Maschine klar zu machen.
Ach, wie ich das liebe! Einen Reisetermin vor Augen, kann ich es nicht mehr erwarten. Die Tage sind gefüllt mit dem Organisieren der letzten Kleinigkeiten und wie immer
kommen am Abreisetag mit der Post noch die letzten Reiseutensilien. Nebenbei habe ich ja mein Buch über die letzte Tour fertig gemacht und auch diese Lieferung kommt noch am 11. mit der Post.
Zwei wunderbare Momente an einem Tag: Mein erstes, eigenes Buch in Händen halten und endlich wieder losfahren zu können!
Nachdem die Post alles gebracht hat, was noch gefehlt hat, mache ich mich mit meiner vollgepackten F 650 GS Dakar auf den Weg zur Firma Wunderlich nach Sinzig in der Eifel. Dort wartet die nagelneue BMW R 1200 GS auf mich. Noch einmal genieße ich das geniale Handling „meiner Kleinen“ auf den kurvigen Straßen der Eifel (wer weiß, wie ich mit der dicken BMW zurecht kommen werde) und lande schließlich in der Werkstatt von Wunderlich. Dort sind Erich und Tzur geschäftig dabei, der Maschine den letzten Schliff zu verpassen. Ich parke meine Kleine und umrunde ehrfürchtig die 1200er. Das ist also „meine Große“ für die nächsten Wochen. Ich packe um und fange an, mich mit den technischen Details vertraut zu machen. Es folgt noch ein kleiner Fototermin und dann sitze ich endlich auf „meiner Großen“. Spiegel einstellen, Sitzposition finden, Frontscheibe justieren, Knöpfe ausprobieren. Es beginnt zu regnen und ich düse mit gut 140 km/h Richtung Düsseldorf. 140 km/h mit voller Beladung, das fühlt sich gut an und dank der großen Frontscheibe werde ich nicht einmal nass – bis auf die Stiefel, in denen steht das Wasser... Zu Hause ein paar Zeitungen in die Stiefel, noch schnell die ersten Bücher für den Versand fertig machen, das Gepäck nochmals etwas justieren und dann voller Erwartungen noch mal in’s eigene Bett.
12. August – 20 . August 2004
Natürlich bin ich früh wach, die Erregung nimmt einfach über Hand, ich muss los. Was hält mich hier – nichts! Schnell noch die Bücher auf die Post gebracht, letzte
Besorgungen gemacht, einen kurzen Abstecher zu BMW (noch ein paar technische Tipps holen) und dann, gestärkt durch ein letztes Mittagessen bei meinem Stammtürken, geht es mit der voll beladenen
1200er gen Berlin. Welch Spaß mit der Power auf der Autobahn. Das Gepäck scheint dem Motorrad nichts aus zu machen und so blase ich mit gut 160 in Richtung Berlin. Eine Vollsperrung der Autobahn
kann mich nur kurz aufhalten. Erstaunlich wie leicht sich die BMW bewegen lässt. Ich bin begeistert und viel schneller und entspannter in Berlin, als ich gedacht hatte. Dort verbringe ich –
traditionsgemäß – die letzte Nacht bei Andreas. Die Aufregung ertränke ich in Bier und dank der Betäubung schlafe ich auch schnell ein.
Früh geht es am nächsten Morgen los – endlich, der Osten ruft. Bei Andreas hole ich noch das Expresspaket mit der Videokamera ab, kurzer Besuch bei Christoph, der wie immer
am liebsten mitfahren möchte und dann geht es raus aus Berlin. Schnell habe ich die Großstadt hinter mir, allerdings bin ich leicht orientierungslos, da ich alles dabei habe, außer einer
Deutschlandkarte. Und Batterien für das GPS habe ich noch keine besorgt. Aber mein Orientierungssinn lässt mich nicht im Stich und nach einer wunderschönen Fahrt über schönste ostdeutsche
Nebenstrassen lande ich an der polnischen Grenze. Da Polen jetzt Europa ist, bin ich ohne Probleme drüben und schon geht es durch die bekannten, endlosen, polnischen Alleen weiter... das Wetter
spielt mit und ich genieße das aufkommende Gefühl der Freiheit. Mit jedem Kilometer werden die Sorgen von zu Hause kleiner, wird das alles unwichtiger und schließlich ganz vergessen. Der Blick
und die Gedanken richten sich nach vorne.
Eigentlich wollte ich heute noch den Campingplatz erreichen, der uns im letzten Jahr als Wartestation gedient hat, aber der Ausflug über die ostdeutschen Nebenstrassen hat
doch eine Menge Zeit gekostet und so nehme ich mir bei Einbruch der Dämmerung ein Zimmer in einem Motel. Das junge Mädel organisiert sogar, dass das Motorrad sicher in einer Autowerkstatt
eingeschlossen wird. Schnell bekomme ich etwas zu Essen und falle bald danach glücklich und hundemüde in’s Bett.
Mit der Sonne geht es am nächsten Morgen weiter, die Etappe heute ist nicht so lang, da ich sowieso erst am Sonntag nach Russland einreisen kann. (Visum). Ich werde den Rest
des Tages auf dem bekannten Campingplatz verbringen und gönne mir eine geniale Fahrt durch Masuren. Ein erster Ausflug auf die Piste macht mir schnell klar – die 1200er ist eben keine F 650. An
das Handling muss ich mich erst noch gewöhnen. Kaum ist mein Zelt aufgeschlagen beginnt es aus allen Eimern zu schütten und so liege ich schnell – nach einem ausgiebigen Abendessen – in
meinem warmen Schlafsack und hoffe auf besseres Wetter.
Dicke Wolken hängen sehr tief am Himmel, ich packe, steige in die Regenkombi und mache mich auf den Weg. Schon im letzten Jahr war das Wetter auf diesem Streckenteil nicht
das Beste – wo ich doch diese wunderschöne Gegend so gerne einmal bei Sonne durchfahren würde... die Grenzen nach Litauen und Lettland sind, dank Europa, auch kein Hindernis mehr und gegen Abend,
nach einer regenfreien Fahrt halte ich vor dem mir schon bekannten Motel hinter Daugavpils in Lettland. Ausgebucht! Zum Glück gibt es einige Kilometer weiter ein Cafe mit Zimmern und dort komme
ich für 8 Euro unter. Schnell parkt das Motorrad hinter dem Haus, hängt mein nasses Zelt quer durchs Zimmer und ich sitze vor einer dampfenden Suppe. Der Himmel sieht schon wieder besser aus und
so schlafe ich schnell ein.
Die Sonne scheint wieder! Statt der 160km Hauptstrasse bis zur russischen Grenze gönne ich mir die gleiche Strecke auf Schottersträßchen. So richtig warm werde ich aber mit
der GS auf diesen Wegen nicht. Das kann ja lustig werden, später im Altai. Hier ist zum ersten Mal das GPS sinnvoll, da es die Orientierung auf den kleinen Wegen doch sehr erleichtert.
Schneller als gedacht stehe ich an dem bekannten Schlagbaum nach Russland und der Grenzübertritt geht noch problemloser als beim letzten Mal. Nach nur einer Stunde habe ich alle Stempel, die
Versicherungsmarke auf der Frontscheibe und freie Fahrt gen Osten. YES! Welch geniales Gefühl, endlich wieder in Russland! An der ersten Tankstelle Tanken (0,24 Euro der Liter), Snickers kaufen
und los geht es. Ach, welch Wonne, diese Strasse, diese Landschaft, diese Menschen... eigentlich will ich heute nur bis etwa 100km vor Moskau fahren, doch finde ich mich bei Einbruch der
Dämmerung schon auf dem Moskauer Ring wieder. Ich biege Richtung Zentrum ab und lande direkt vor dem Cosmos Hotel. Ein halbrunder Kasten mit über 1000 Zimmern. Ich fahre natürlich direkt vor die
Türe und bekomme noch ein Zimmer in der „Cosmos Klasse“. Das Motorrad kommt in die bewachte Garage und ich darf in Motorradklamotten im Restaurant im 25. Stock zu Abend essen.
Immer tiefer fahre ich nun nach Russland rein, mit einer Tagesleistung von meist um die 800km hake ich die Städte Kazan, Perm, Tyumen und Omsk als Tagesziele ab.
Stellenweise ist die Straße sehr schlecht und das Wilbersfahrwerk zeigt sein ganzes Können. Nach einigem Spielen mit den Einstellelementen finde ich eine Abstimmung, die auf der Strasse nicht
ganz optimal ist, bei den üblichen Ausflügen auf den Schotterstreifen (bei gut 120 km/h) aber die perfekte Sicherheit bietet. Das Material muss leiden... Teilweise werde ich bis zu 5 mal am Tag
von der Polizei gestoppt. Kassieren dürfen sie nicht mehr auf der Strasse und meistens wollen sie nur den Preis der Maschine, die Höchstgeschwindigkeit oder die PS wissen, oder einfach das Moped
mal in Ruhe betrachten. Probleme gibt es nie.
Die letzte Nacht vor Barnaul verbringe ich in einer Herberge hinter Omsk, die ich auch vom letzten Jahr schon kenne. Das Motorrad steht sicher, mit eingeschalteter
Alarmanlage in einer Autowerkstatt nebenan. Mitten in der Nacht schrecke ich hoch – die Alarmanlage! Eigentlich kann nix passieren – die Halle ist verschlossen, 2 Security Menschen sind
unterwegs...kurz darauf klopft es an meiner Zimmertüre. Draußen stehen zwei völlig betretene Securityguards, die sich 1000x entschuldigen – sie wollten sich nur mal draufsetzen und dabei sei die
Alarmanlage losgegangen.
Nach 9 Tagen Fahrt und gut 6.500km erreiche ich gegen 18:00 Barnaul. Wie schön die Stadt am Obb liegt. Über eine breite Brücke fährt man in die Stadt, die mit gut 500.000
Einwohner wie eine Perle vor dem Altai liegt. Hier nimmt mich Evgenij in Empfang. Evgenij und seine Bekannte Snegana habe ich über das IHK-Forum kennen gelernt, als ich nach einem Partner für die
Reisen im Altai Gebirge gesucht habe. Beide sprechen perfekt Deutsch, da sie beide in Deutschland studiert haben. Schnell ist das Motorrad gut bewacht geparkt und mein Hotelzimmer bezogen. Jetzt
geht es an die Reiseplanung für die kommende Woche im Altai Gebirge.
21. August – 23 . August 2004
Wie immer ein gutes Gefühl angekommen zu sein. Da der Rücktransport des Motorrads und von mir via Flugzeug erfolgen soll, fahren Evgenij und ich zum Flughafen, um im Vorfeld
schon mal die nötigen Formalitäten zu klären – nicht, dass es nach unserer Rückkehr aus dem Altai da noch Überraschungen gibt. Schließlich soll das Motorrad pünktlich zur Intermot wieder in
Deutschland sein. Nach gut 1,5 Stunden Diskussion und Debatte ist klar, das wird nichts! Der Fluggesellschaftmanager will oder weiß nicht wie und irgendwann ist dann Evgenijs und meine Geduld zu
Ende. Also Plan B: Motorrad mit dem Zug zurück nach Moskau und ich mit dem gleichen Verkehrsmittel hinterher und dann von Moskau aus wieder nach Hause. Das können wir dann auch regeln, wenn wir
wieder zurück sind.
Morgens um 05:30 kommt der Flug in Barnaul an, mit dem das Kamerateam ankommen soll. Die beiden Jungs haben sich spontan entschlossen auf eigene Rechnung an dem Abenteuer
hier im Altai teil zu haben und hoffen, genügend Material für eine DVD sammeln zu können. Ich stehe also verdammt früh auf (Barnaul hat 5 Stunden Vorsprung zu Deutschland) und fahre mit Evgenij
zum Flughafen. Keine Kameraleute. Um 06:00 kommt dann eine SMS: “Sorry, haben den Anschlussflug in Moskau verpasst – kommen morgen...”
Mist, und das, wo sich Evgenij, Snegana und ihr Freund Victor extra eine Woche Urlaub für diese Tour genommen haben. Victor stellt außerdem noch seinen Fahrer Sascha zur
Verfügung. Tja, was hilft es, wir verbringen einen netten Tag in Barnaul, gönnen uns eine Banja am Abend und stehen am nächsten Morgen wieder um 05:30 am Flughafen. Diesmal sind die beiden Jungs
dabei – sturz betrunken ob der ganzen Abenteuer die sie schon erlebt haben, aber immerhin endlich in Barnaul. Wir verfrachten die Jungs in’s Hotel und treffen uns um 12:00 zur Abfahrt dort
wieder. Mit einigen kleinen Verzögerungen geht es dann auch endlich los. Sascha fährt den Lada Jeep mit Snegana und den beiden Kamerajungs. Evgenij und Victor werden einen Tag später folgen. Ich
düse vorne weg und freue mich, endlich wieder unterwegs sein zu können.
Ein Stop an einem Cafe an der Straße um die Energieversorgung wieder aufzufüllen. Die beiden Jungs kommen aus dem Staunen nicht mehr raus – Kulturschock Russland, da hatte
ich natürlich nicht daran gedacht, da so vieles hier schon selbstverständlich ist für mich. Die Landschaft verändert sich, die Augen verlieren sich nicht mehr in der Unendlichkeit, sondern finden
wieder Halt. Sanfte Hügelketten, wie aus der Provence, halten den Blick fest. Wie ein Vorspiel für das Kommende, bereiten sie die Augen und den Geist auf die Berge vor, die uns erwarten. Schnell
sind wir mittendrin in den Hügelketten und bald schon landen wir auf der Piste. Nur zögerlich ziehe ich am Gashahn, da ich noch immer meine Problemchen habe mit der schweren, starken Maschine auf
losem Untergrund. Vor mir liegt eine wunderschöne kleine Passstraße, perfekte Piste, noch im Licht der Abendsonne. Eher aus Versehen stehe ich auf um meinem Hintern eine Pause zu gönnen, da
passiert es: Ich ziehe am Gasgriff und glaube kaum, was ich da spüre – die BMW ist plötzlich in ihrem Element. Ich, der sonst alles im Sitzen fährt, stehe mit breitestem Grinsen in den Fußrasten,
Druck auf die Fußraste, Gas auf und schon ist er da, der Hinterreifen. Der Schotter spritzt nur so, ich jauchze vor Freude und schnell ist die Tachonadel bei guten 120km/h. Hat wirklich eine
Weile gedauert, bis die BMW und ich für diese Straßen einen gemeinsamen Nenner gefunden haben, aber jetzt...mehr, mehr, mehr....
Es geht durch diese wunderschönen, verschlafenen sibirischen Dörfer, Kühe, Pferde, Ziegen, Schafe und Hunde auf der Strasse, die Bäuerinnen verkaufen in der Abendsonne ihre
Erzeugnisse vor den Häusern, Kinder auf dem Fahrrad versuchen neben mir her zu fahren, aus den Schornsteinen zieht gemütlich Rauch, es richt nach Essen, Holzfeuer und Kuhmist – ach, ist das schön
hier!
Nach einigen Dörfern wird die Piste zum Feldweg und wir stehen vor einer genialen Hängebrücke über einen kleinen Fluss. Hier soll unser Nachtlager sein. Schnell knistert das
Feuer, stehen die Zelte und nach einer leckeren Suppe aus Sneganas und Saschas Hand und einigen Gläschen Vodka liege ich lächelnd und einfach glücklich in meinem warmen YETI Schlafsack. Und den
braucht es heute auch, denn kaum ist die Sonne weg, wird es empfindlich kalt hier.
24. August
Der Wind in den Bäumen über mir, das rauschen des Flusses direkt neben mir, die Vögel beginnen zu zwitschern und leichter Raureif auf meinem wunderbar warmen Schlafsack –
welch ein Morgen! Oben auf den Hügelspitzen zeigen sich schon die ersten warmroten Sonnenstrahlen – das wird ein Tag! Ich krieche voller Tatendrang gut ausgeschlafen aus meinem Schlafsack und
koche mir mit Sascha erstmal eine Tasse Fertigkaffee. Es ist immer noch bitter kalt und der Rest der Truppe lässt sich erst Blicken, als schon die ersten Sonnenstrahlen das Tal erwärmen. Da
Evgenij nur die Hälfte der Dinge eingekauft und eingepackt hat, die Snegana ihm aufgetragen hat, muss das Frühstück leider ausfallen und schnell sind wir (nach einigen Fahrten über die geniale
Brücke) wieder unterwegs. Mein Tank ist komplett leer. In der nächsten Ortschaft halten wir an. Erstmal werden dort ausgiebig meine Papiere kontrolliert und dann werden wir in das „Rathaus“
gebeten. Dort können wir Benzin bekommen. In einem Büro werden Name und Anschrift erfasst und dann die Menge des Benzins notiert. Mit den diversen Zetteln müssen wir zur Dorfkasse. Diese ist
allerdings geschlossen, da heute im Ort Brot verkauft wird – und das ist wichtiger. Nach einer halben Stunde kommt die Kassendame dann, entschuldigt sich (!) und kassiert. Mit dem Stempel auf dem
Zettel geht es dann durch den ganzen Ort bis zur Kommunalen Tankstelle. Die Tankwärtin entschädigt für alles ;-) Viel zu schnell ist getankt, ich ein bisschen geschäkert und weiter geht es. Mir
fehlt ein richtiger Kaffee und etwas für den Blutzuckerspiegel...und schon stecken wir mitten in einem heftigen Wegstück. Ein Feld- und Waldweg, der immer heftiger wird. Tief ausgefahrene Rinnen,
Schlamm auf Fels, dicke Felsbrocken, steile Abfahrten, sandige Rillen, hohe Kanten und ich inzwischen völlig Unterzuckert – das ist kein Spaß, leider. Meine Schultern sind völlig verkrampft, das
schwere Motorrad mit voller Beladung, mit schleifender Kupplung – das ist schwerst Arbeit. Aber nach einer knackigen Wasserdurchfahrt wird der Weg wieder besser und nach gut 3 Stunden Schinderei
wartet endlich ein deftiges Mittagessen in einer Kantine auf mich. Danach geht es mit vollem Energiespeicher über eine böckel harte Piste weiter in Richtung Ust-Kan. Das macht wieder Spaß und ich
gebe der BMW nach der Vormittäglichen Anstrengung kräftig die Sporen. In Ust-Kan treffen wir Evgenij und Victor, die dort eine der traditionellen Holzjurten für uns gemietet haben. Schnell ist
gegessen und der Schornstein der Banja raucht schon. Sascha und ich sind die ersten, die sich in der Hitze mit dem Wenik (Büschel aus grünen Birkenzweigen) bearbeiten. Das ist genau das richtige,
nach so einer Tour heute – wie stöhnen und ächzen und kommen völlig geläutert aus der Banja. Und dann heißt es: „Jochen, nalewai“ – Jochen, schenk ein. Und bei einem wunderschönen roten Himmel,
klingt der Abend mit einigen Gläschen Vodka und viel Gelächter aus.
25. August
Ein ausgiebiges Frühstück in der Küchenjurte bringt langsam Bewegung in den Tag. Während der größte Teil der Truppe den nahen Fluß durchquert um auf der anderen Seite eine
Höhle mit steinzeitlichen Ausgrabungen zu besuchen, kontrolliere ich die Schrauben und das Öl an der BMW und packe ein bisschen um. Bis auf die beiden Kamerajungs sind gegen 10:30 alle wieder im
Jurtendorf – ob’s an einem plötzlich erwachten Interesse an unserer frühen Vergangenheit oder doch eher an den dort ausgrabenden, jungen Archeologiestudentinnen liegt?...Gegen 11:00 sind wir
wieder komplett und machen uns auf den Weg. Evgenij will uns einen ganz besonderen Ort zeigen, den er vor einigen Wochen entdeckt hat. Nach gut 60km Piste – also perfekt warm gefahren – biegen
wir an einer Brücke links ab. Der anfänglich entspannt zu fahrende Feldweg steigt urplötzlich steil an, wird felsig und feucht. Ich stehe auf und dank den warmen Muskeln und dem reichhaltigen
Frühstück macht diese Trial Passage plötzlich richtig Spaß. Es geht durch tiefe Schlammpfützen, steinige Geröllauffahrten, steile Abfahrten in einem Bachbett, um Felsbrocken herum, schlammig
durch ein Feld und plötzlich sehe ich es im Abgrund zwischen den Büschen türkis blitzen. Ich halte an blicke direkt auf Grund eines türkisblauen Sees, den der ansonsten reißende Gebirgsfluss hier
bildet. Nach einigen Minuten tauchen auch der Lada Jeep und der Wagen von Evgenij auf und war parken die Fahrzeuge. Bald schon knistert ein Feuer und Evgenij zaubert Schaschlik auf dem Feuer.
Natürlich muss nach dieser genialen, aber anstrengenden Fahrt ein Bad in dem eiskalten und glasklaren Wasser des Flusses sein – allerdings trauen sich nur Victor und ich in die Fluten. Welch
magischer Ort. Die Sonne blitz durch die Bäume und taucht die wilde Kulisse in ein zauberhaftes Licht. Spontan beschließen wir, den ganzen Tag an diesem Ort zu verbringen. Die beiden Kamerajungs
beschließen einen Baum zu fällen und verschwinden mit den Äxten im Wald, Victor und Sascha fahren zurück nach Ust-Kan um die fehlende Dinge (Vodka, Saft und diverse Lebensmittel) zu besorgen. Ich
helfe Snegana beim Abwaschen, gönne mir eine Maniküre am Feuer, während an dem selbigen meine Socken und die Stiefel trocknen. Bei einem Nickerchen in der Sonne fühlt man förmlich, wie man von
der Seele Sibiriens durchströmt wird. Die Zeit scheint still zu stehen, das Leben scheint hier Luft zu holen, so wie der reißende Fluss sich hier eine Ruhepause gönnt. Sascha und Victor kommen
zurück und haben eine Rolle Plastikplane mitgebracht. Schnell sind Evgenij, Victor Sascha und ich mit vereinten Kräften und Ideen dabei hier, mitten in der Wildnis, eine Banja zu bauen. Nach gut
2 Stunden Arbeit ist sie fertig und genau zum richtigen Zeitpunkt tauchen auch die beiden Jungs mit einem riesigen Haufen Holz wieder aus dem Wald auf. Im Feuer beginnen die Steine zu glühen, auf
dem Feuer kocht Saschas leckeres Reisfleisch, der Wenik ist zurecht geschnitten, Wasser haben wir aus dem nahen Fluss und schon sitzen Sascha und ich als erste in der eigenen Banja, gießen Wasser
auf die glühenden Steine und bearbeiten uns gegenseitig mit dem Wenik. Es gibt keine Worte um dies alles zu beschreiben – das muss man wirklich erlebt haben! Natürlich springe ich nach der Banja
wieder in den Fluss... kaum abgetrocknet, in Geist und Körper gereinigt, heißt es wieder: „Jochen, nalewai“. Ja, das ist sie, die sibirische Seele, dieses unbeschreibliche Gefühl, das von einem
Besitz ergreift, diese Ruhe, diese Gefühl Teil der Natur zu sein. Man fühlt sich den Menschen und sich selbst hier so nah. Das ist Sibirien! Noch lange sitzen wir um das knisternde Feuer, blicken
in den unendlichen Sternenhimmel, philosophieren und hängen unseren ganz eigenen Gedanken nach.
26. August
Nach so einem Tag muss man gut schlafen... wir stehen zeitig auf, kleine Morgentoilette im Fluss und schon geht es die rassige Strecke wieder zurück. Ich bin erstaunt wie
leicht die BMW diese Hürden nimmt und schneller als gewollt biege ich wieder auf die Piste nach Ust-Kan ab. In Ust-Kan lasse ich in einem Autoladen den Hinterreifen frisch aufziehen. Der alte hat
zwar noch gut Profil, ich möchte aber den Ersatzreifen endlich vom Motorrad haben. Der Laden ist etwa so groß wie zwei Dixi-Toiletten. Ich fahre auf den Vorplatz und bauen den Hinterreifen aus.
Innerhalb von 10 Minuten hat der alte Reifen einen neuen Besitzer und ich den neuen TKC 80 mit dem gewünschten Reifendruck wieder auf der Felge. Schnell sind die 6 Schrauben wieder angezogen und
ich lasse zum Einfahren des neuen Reifens den Schotter spritzen. Gigantisch, wie sich die Straße, immer einem türkisblauen Gebirgsfluss folgen an den Felsen entlang windet. Ständig verändert sich
die Landschaft, aber zu lange sollte der Blick nicht in der Ferne verweilen – die Straße fordert ständige Aufmerksamkeit: Schlaglöcher, Schotter im Kurvenscheitelpunkt, Schafe, Kühe – alles was
das Land zu bieten hat. Nach dem Mittagessen in einem Cafe am Wegesrand fahren wir eine perfekt ausgebaute Passstraße nach oben – welch Wonne. Griffiger Asphalt, kein Verkehr, geniale Aussichten
– nur widerwillig mache ich auf der Passhöhe halt um auf den Rest der Truppe zu warten. Die Straße hier ist wie für die GS gebaut. Griffiger Asphalt, rassige Kehren, immer wieder kleine
Schotterstücke dazwischen, etwas Kies auf der Strasse...nein, hier hält mich keiner mehr auf. Wie im gestreckten Galopp reite ich mit meinem stolzen Ross über diese Strasse, immer weiter in
Richtung Mongolei. Nur in der Konzentration nachlassen, das ist fatal. Kehren sind immer auf den Kuppen und wenn auf der Kuppe mal keine Kehre kommt, dann steht dort bestimmt eine Kuh, ein Schaf
eine Ziege oder eine ganze Herde irgendwelcher Tiere. Aber dank des integralen ABS der BMW gibt es auch hier keine brenzligen Situationen. Einen entspannten Stop lege ich an einem Punkt ein, den
mein GPS als „point of return“ meines Freundes Christoph vor 3 Jahren ausweißt. An diesem Punkt war seine innere Stimme so laut, dass er auf ihren Rat Umzukehren hörte (was sehr weise war, wie
sich später herausstellen sollte) Ich baue ein Steinmännchen für uns beide und genieße die Ruhe und Gelassenheit, den diese Landschaft hier ausstrahlt. Unter uns fließt der türkisblaue Fluss,
über uns türmen sich die Berge und in der Ferne, weit im tiefblauen Himmel, blitzen schon die schneebedeckten Gipfel des Zentralaltais. Kein Wölkchen traut sich auf diesen perfekten Himmel. Man
sagt, im Altai wird die innere Stimme lauter, man kommt sich selbst näher – und das ist auch zu spüren. Irgendwann höre auch ich auf meine innere Stimme und halte an. Lange muss ich warten, bis
der Wagen von Evgenij auftaucht – auch meine innere Stimme hatte recht: ich bin an unserem Hotel für die heutige Nacht schon vorbei gerauscht. Schnell sind die Zimmer in dem vom letzten Erdbeben
doch heftig beschädigten Haus bezogen, das Abendessen eingenommen, ein Bierchen am nahen Bach getrunken und dann spazieren Sascha und ich auch schon Richtung Banja. Leider ist der Ofen eine
Fehlkonstruktion und wir verlieren schnell die Lust. Nach dem Waschen spazieren wir zurück in’s Hauptgebäude und dort wartet eine Überraschung auf mich. Alexander, ein russischer Biker, den ich
zusammen mit seiner Freundin weit vor Novosibirsk vor etwa einer Woche getroffen hatte, wohnt auch hier. Die beiden haben sich unterwegs einer kleinen Familie angeschlossen und sind seither zu
fünft im Altai unterwegs. Spontan werden wir noch mal zum Essen eingeladen und es folgt ein sehr lustig Abend.
27. August
Nach einem gemeinsamen Frühstück beginnen alle ihre Sachen zu packen. Erstaunlich, dass Alexander das gleiche Gepäck das ich dabei habe, auf seiner Ural unter bekommt. Ich
helfe ihm mit meiner elektrischen Luftpumpe aus und nach diversen Fotos machen wir uns auf den Weg. Wir machen verschiedene Foto- und Filmstops und treffen die beiden noch einige Male. Gegen
Mittag halte ich in einem kleinen Ort bei einem Cafe und gönne mir einen Kaffee und ein paar Blinies mit Smetana. In der Sonne sitzend, warte ich auf den Rest der Truppe, der auch nach und nach
eintrudelt. In einer Garage hinter dem Cafe entdecken wir eine kleine Kutsche. Schnell ist die BMW als Pferdersatz davor gespannt und ich spiele Kutscher... nachdem wir uns alle gestärkt haben
geht es weiter. Zum letzten Mal treffe ich Alexander auf einer Brücke und bei gut 80km/h klatschen wir uns im entgegenkommen ab. Unser heutiges Ziel ist die Stadt Chemal, die vom (russischen)
Tourismus schon etwas weiter entwickelt wurde. Gemütlich geht die Fahrt auf wunderschöner Strasse durch diese geniale Landschaft und gegen Abend treffen wir in Chemal Evgenij und Victor wieder,
die voraus gefahren sind um eine Unterkunft für uns zu organisieren. Während wir noch einkaufen und ich für kurze Zeit hinter den Verkaufstresen muss, da die Verkäuferinnen nicht verstanden
haben, welchen Vodka die Jungs kaufen wollten, haben Evgenij und Victor ein ganzes Holzhaus für uns gemietet. Das Motorrad steht sich im Ziegenstall der Nachbarn und schnell schnurrt der
Benzinkocher und wir sitzen gemütlich in „unserem“ Garten beim Abendessen. Wie immer schließen wir einen ereignisreichen Tag mit einigen Gläschen Vodka ab.
28. August
Heute ist Pause angesagt. Das Moped bleibt im Ziegenstall und wir werden uns etwas dem touristischen Angebot hier in Chemal hingeben. Wir buchen eine Raftingtour – natürlich
die Variante „Extrem“. Schnell sitzen wir nach einem entspannten Frühstück in der Sonne im russischen Allradbus und fahren Flussaufwärts. Schon dieser Teil der Tour geht locker als „Extrem“
durch. Aber auch die Rückfahrt im Fluss bietet so einiges und selbst Markus einer der beiden Kamerajungs wird trotz Hugo Boss Goretexjacke und Hose nass bis auf die Unterhose...
Zurück gibt es erstmal ein ausgiebiges Mittagessen in einem Cafe und dann brauche ich dringend einen Mittagsschlaf. Markus bemerkt, dass er am Ausstieg seine Jacke vergessen
hat und kann Sascha und Victor überreden noch mal zu dieser Stelle zu fahren. Ich plaudere noch ein bisschen mit Snegana und Evgenij und verschwinde dann in süßen Träumen. Armin der andere
Kameramann weckt mich mit der Bemerkung, sie hätten gerade gemerkt, dass morgen früh ihr Rückflug ab Barnaul gehen würde. OK; ich lache und halte das ganze für einen schlechten Scherz, oder den
Versuch mich schnell wach zu bekommen – schön wär’s, leider ist es war. Vor lauter Erlebnissen haben die beiden völlig vergessen welchen Wochentag wir haben. Schlagartig ist die gute Laune
erstmal weg und wir versuchen eine Lösung zu finden. Das dann der Schamane, der uns eigentlich etwas über das Leben der Altaier erzählen soll irgendwie keine Lust auf uns hat und uns bittet
wieder zu gehen passt dann auch noch genau dazu.... nicht ganz glücklich aber letztendlich die einzig praktikable Lösung ist, dass der arme Sascha die beiden Jungs morgens um 03:00 nach Barnaul
bringt und sie somit ihren Flug bekommen können. Leider trinken wir also am letzten Abend hier ohne Sascha, der Seele der Truppe, unseren Vodka. Schnell liegen wir in den Betten und jeder hängt
so seinen Gedanken nach.
29.August
Nach einem ausgedehnten Frühstück machen wir noch ein bisschen Sightseeing im Ort, besichtigen noch eine Touristenanlage für’s nächste Jahr und machen uns auf den Weg zurück
nach Barnaul. Die Wehmut fährt mit – jetzt beginnt der Rückweg. Diverse Stops zum Tanken, bei Kamelen (ich sitze ja dank Tankrucksack und Hecktasche auch zwischen zwei Höckern) und beim
Honigmarkt bei Bijsk machen die Hitze erträglich. Unbarmherzig sticht der Planet auf uns ein und der Verkehr wird immer stärker. Im Rückspiegel werden die Berge des Altai immer kleiner, bis sie
letztendlich ganz aus der Sicht verschwinden. Ich komme wieder, das ist sicher – und wer will, kann mitkommen!
In Barnaul checke ich im Hotel ein und möchte mich nur kurz duschen und dann ab in die City. Heute ist Stadtfest und alle sind auf den Beinen. Da es warmes Wasser erst wieder in einer Stunde gibt, lege ich mich kurz auf’s Bett....um dann mitten in der Nacht noch mit den Stiefeln an den Füßen wieder auf zu wachen. Das Feuerwerk ist vorbei und das Stadtfest auch...
30.August – 13. September
Das Motorrad ging per Spedition und Bahn in Richtung Moskau, ich nutze die Tage um meine Zähne auf Vordermann zu bringen und genieße die Zeit mit meinen Freunden in Barnaul.
4 Tage nach meiner Maschine steige auch ich in den Zug und fahre mit der Transsibirischen Eisenbahn im Luxusabteil nach Moskau. Leider verzögert sich die Ankunft meiner Maschine um gut 4 Tage,
die ich im sündhaft teuren Moskau verbringe. Endlich der erlösende Anruf... mit einer Flasche Vodka bestochen lassen die Bahnarbeiter alle anderen Wagons links liegen und machen sich daran die
BMW frei zu schaufeln. Sie ist perfekt verpackt und steht super versteckt zwischen Säcken voll Getreidepeletz und Traktorersatzteilen. Nichtmal einen Spanngurt haben die in Barnaul gebraucht um
die Maschine sicher zu verstauen. Endlich packe ich Samstag Nachmittag mein Gepäck auf die Maschine, fahre am Güterbahnhof eine enge Treppe herunter und mache mich auf den Weg nach München, wo
ich Montags zum letzten Intermot-Aufbautag vom Wunderlich Team erwartet werde. Es sind harte 2.500km bis nach München, aber pünktlich erreiche ich Montag gegen Mittag das
Messegelände...
Beim abendlichen Vodka in unserem Hotel schmiede ich schon wieder neue Reisepläne...